9. April 2020, Peter Schafflützel

Angst vor der Freiheit anderer

Sind nur eingesperrte Bürger gute Bürger?

Als in der Schweiz die ersten Erkrankungen mit dem neuen Coronavirus bekannt wurden, war der Ruf nach "Lockdown" und Ausgangssperre unüberhörbar, obwohl es ja jedem freigestellt war, von sich aus zu Hause zu bleiben. Wer Angst vor Ansteckung hatte, durfte sich freiwillig in seinen vier Wänden einsperren. Das genügte vielen nicht. Sie wollten, dass auch die anderen sich einsperren. Und diejenigen, die das nicht freiwillig taten, sollten dazu gezwungen und ihrer Freiheit beraubt werden. Der Bundesrat entschied sich schliesslich für die gemässigte Variante, Ansammlungen zu verbieten und zum Zuhausebleiben bloss zu ermahnen. Dennoch gehen bei der Polizei zahlreiche Hinweise besorgter Bürger über Menschen ein, die mit dem Ausnutzen ihrer Freiheit die Gesundheit des Volkes gefährden.

Die Freiheit des andern kann zur Bedrohung werden. Ein Mann sieht sich mit der Situation konfrontiert, dass seine Ehefrau mehrere Male pro Woche auswärts übernachten möchte. Das hat einerseits berufliche Gründe. Andererseits brauche sie zwischendurch etwas mehr Distanz, um sich selber und ihre Bedürfnisse besser wahrnehmen zu können, findet sie. Wäre das Vertrauen zu ihr intakt, wäre dies kein grosses Problem. Aber da sie ihn in der Vergangenheit mit anderen Männern betrogen hat, fällt ihm das Vertrauen schwer.

Wie soll er sich verhalten? Soll er auf tolerant machen und so tun, als wäre das für ihn völlig ok? Aber es ist für ihn nicht ok. Es bedeutet für ihn Nächte voller Angst, sie könnte wieder bei einem andern Mann sein. Oder soll er es ihr verbieten und mit der Scheidung drohen? Dann wird sie sich in ihrer Ehe gefangen fühlen und Groll gegen ihn entwickeln. Oder sie wird es trotzdem tun und es auf die Scheidung ankommen lassen. So oder so wird die Beziehung schaden nehmen.

Wie viel einfacher wäre es doch, wenn jemand da klare Regeln setzen und durchsetzen würde: "§1 Ehepaare müssen immer zusammen übernachten. §2 Ehepartner dürfen nie mit einer erwachsenen Person des andern Geschlechts allein sein. §3 ..." Es gibt tatsächlich Länder mit solchen Gesetzen, weil Männer Angst vor der Freiheit ihrer Frauen haben. Werden Ehebeziehungen durch solche Gesetze liebevoller?

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Steht also fest und lasst euch nicht wieder in das Joch der Knechtschaft einspannen. Galater 5,1

... schmettert Paulus allen Christen entgegen, die sich und ihre Mitchristen mit Regeln und Geboten gefangensetzen wollen. Für Christen haben Regeln und Gebote keine Bedeutung mehr,

sondern allein der Glaube, der sich durch die Liebe als wirksam erweist. Galater 5,6

Christus hat am Kreuz die Folgen unseres Regelbruchs auf sich genommen und am Ostertag mit seiner Auferstehung überwunden. Darum macht der Glaube an ihn frei von allen Regeln und Geboten. Wer von Christus befreit worden ist, wird sich davor hüten, andere mit Regeln und Geboten zu knechten.

Das bedeutet nicht, dass ich mich vor dem anderen nicht schützen darf. Wenn der andere mich weiter betrügt, darf ich mich von ihm trennen. Wenn der andere draussen Viren verbreitet, darf ich drin bleiben. Wenn der andere ungewollt in mein Haus kommt, darf ich die Polizei rufen. Damit beschränke ich nicht die Freiheit des andern, sondern schütze meine eigene.

Der Geist Gottes befähigt uns zu noch Grösserem. Die erwähnte Ehefrau hat in ihrem Zimmer auswärts über ihrem Bett den Satz angebracht:

Gebt acht: dass die Freiheit nicht zu einem Vorwand für die Selbstsucht werde, sondern dient einander in der Liebe! Galater 5,13

Die Frau bemüht sich ernsthaft, ihre Freiheit nicht mehr zu missbrauchen. Sie tut es nicht aus eigener Kraft. Sie nimmt sich Zeit für die Gemeinschaft mit Christus und lässt sich von seinem Geist leiten. Weil der Mann dies weiss, fällt es ihm leichter zu vertrauen. Nicht ihr. Er traut ihr auch heute noch zu, dass sie ihn betrügen könnte. Er vertraut Gott. Sein Leben, das Leben seiner Frau, ihre Ehe - alles vertraut er jeden Tag Gott an und weiss es in seiner Hand.

Das Vertrauen auf Gott macht ihn frei von der Angst vor der Freiheit seiner Frau und befreit ihn dazu, seine Frau zu lieben. Darum schliesst er sie nicht zu Hause ein. Darum nimmt er die schlaflosen Nächte in Kauf und bekämpft seine Angst, indem er Zuflucht in den Armen des Auferstandenen sucht. Darum liebt er seine Frau in aller Freiheit.