13. April 2020, Peter Schafflützel

Angst vor der heimlichen Macht

Steckt hinter der Coronavirus-Krise eine Verschwörung?

Vor ein paar Wochen im spärlich besetzten Zug. Über die Lautsprecher ertönt mit freundlicher Frauenstimme die Ansage, dass der öffentliche Verkehr wegen der drohenden Epidemie nun schrittweise reduziert werde. "Sind die jetzt total übergeschnappt?!", ertönt da eine weniger freundliche Frauenstimme aus einem anderen Abteil des Waggons. Neugierig geworden gehe ich hin und frage die Frau im mittleren Alter, ob ich mich - mit dem gebührenden Zweimeterabstand - ins Abteil gegenüber setzen darf. Die Frau lässt ihrem Ärger freien Lauf. "Ich arbeite im Gesundheitswesen; und was da wegen dieses Virus für Panik geschoben wird, ist einfach nicht normal. Die älteren Leute sind völlig eingeschüchtert. Kürzlich begann eine Seniorin unter tausend Entschuldigungen zu weinen, weil sie es nicht schaffte, ein Husten zu unterdrücken. All diese Massnahmen sind völlig überdimensioniert angesichts der tatsächlichen Gefahr, die von diesem Virus ausgeht." "Was denken Sie, warum handeln die Regierungen so?", wage ich zu fragen. "Ich befürchte, die aufgebauschte Krise ist eine willkommene Ausrede für den anstehenden Wirtschaftskollaps, in den uns die Mächtigen hineinmanövriert haben." Die Krise um das neue Coronavirus macht Menschen zu Verschwörungstheoretikern.

Für Menschen, die die Gefahr durch das neue Coronavirus nicht grösser einschätzen als andere Gefahren in der Welt - wie z.B. die Umweltverschmutzung, Hunger, Terrorismus, Rauchen oder Tuberkulose - ist nicht verständlich, warum Massnahmen gegen diese eine Gefahr so viel massiver sind als gegen alle anderen Gefahren. Milliarden Menschen werden ihrer Freiheit beraubt, Millionen der Arbeitslosigkeit überlassen, in vielen Ländern werden lebensrettende Impfungen ausgesetzt, der Wirtschaft wird immenser Schaden zugefügt. Kommt dazu, dass viele Organisationen und Institutionen in kaum dagewesener Einheit helfen, die Angst vor dem Virus zu schüren. Die Medien präsentieren immer wieder neue Leichenberge. Die Kirchen schliessen gehorsam ihre Türen, als ob sie keine andere Hoffnung ausser einem künftigen Impfstoff hätten. Und die Gesundheitsorganisationen vermitteln die neue Orthodoxie. Wer nicht daran glaubt, gilt als Corona-Leugner. Für den Menschen, der andere Gefahren für nicht weniger schlimm hält, ist diese geballte Macht, die ihm da entgegenkommt, nicht erklärbar. Warum diese unvergleichliche, weltweite Heftigkeit, wenn es doch viele Gefahren gibt, die mindestens so gross sind?

Vielen scheint die einfachste Erklärung für dieses konzertierte Handeln eine Verschwörung zu sein: da arbeiten mächtige Leute heimlich auf ein gemeinsames Ziel hin - den Überwachungsstaat, die Vertuschung der Verantwortung für die kommende Wirtschaftskrise, oder was gerade sonst plausibel scheint. Aus auffällig konzertiertem Verhalten - wie z.B. 1939 den Angriffen von Deutschland und Russland auf Polen - auf eine Verschwörung zu schliessen ist historisch gesehen nicht abwegig. Verschwörungen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Aber eine Verschwörung ist nicht die einzige Macht, die unsichtbar Menschen und Regierungen zu einem gemeinsamen unverhältnismässigen Verhalten bewegen kann. Da gibt es soziale, psychische und wirtschaftliche Dynamiken, mit denen wir Menschen uns gegenseitig beeinflussen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Zu meinen, Machthaber oder Machtsysteme handelten strikt nach rationalen Grundsätzen, ist ein Trugschluss. Die Handelnden sind letztlich immer Menschen mit all ihren Ambitionen, Hoffnungen, Ängsten und Illusionen.

Die Frage ist: Brauchen wir vor all dem Intransparenten, das da hinter den Kulissen der Macht vor sich geht - seien es nun bewusste Absprachen oder unbewusste Dynamiken - Angst zu haben?

Als Christen brauchen wir vor gar keiner Macht Angst zu haben. Eine weltliche Macht kann uns einsperren, behindern, enteignen, verletzen, töten. Aber sie kann uns weder unsere Freiheit, noch unsere Liebe, noch unser Leben nehmen. Als Paulus im Gefängnis sass und mit seiner Hinrichtung rechnen musste, schrieb er in einem Brief an seine Mitchristen:

Wir dagegen haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel, bei Gott. Von dort her erwarten wir auch unseren Retter, Jesus Christus, den Herrn. Er wird unseren schwachen, vergänglichen Körper verwandeln, sodass er genauso herrlich und unvergänglich wird wie der Körper, den er selber seit seiner Auferstehung hat. Denn er hat die Macht, alles seiner Herrschaft zu unterwerfen. Philipper 3,20-21

Keine noch so heimliche oder unheimliche Macht kann uns dieses Bürgerrecht nehmen. Durch Christus haben wir freien Zugang zu Gott. Sein Geist befähigt uns zur Liebe und auferweckt uns zum Leben in seiner neuen Welt.

Als Christen haben wir die Aufgabe, als Botschafter Gottes in der hiesigen Welt zu agieren. Der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart, ist ein Gott des Lichts und der Wahrheit. Seine Machenschaften sind nicht heimlich, sondern offenbar jedem, der die Bibel liest und sich auf die Beziehung mit ihm einlässt. Weltliche Macht ist nur heilsam, wenn sie darin der Macht Gottes nacheifert. Was Recht ist, braucht sich nicht zu verstecken. Mit den Worten des Schweizer Theologen Karl Barths:

Wo Freiheit und Verantwortlichkeit im Dienst der Bürgergemeinde Eines sind, da kann und muß vor Aller Ohren geredet, vor Aller Augen gehandelt werden, da können und müssen der Gesetzgeber, der Regent und der Richter – ohne sich das Heft durch das Publikum verwirren zu lassen, ohne von diesem abhängig zu werden - grundsätzlich nach allen Seiten zur Rechenschaft bereit sein. Die Staatskunst, die sich ins Dunkel hüllt, ist die Kunst des Staates, der [...] das böse Gewissen seiner Bürger oder seiner Funktionäre zu verbergen hat. Die Christengemeinde wird ihm darin auf keinen Fall Beistand leisten. (aus "Christengemeinde und Bürgergemeinde" )

Als Christen und als Kirchen sind wir gerade dann staatstragend, wenn wir die kritische Distanz zum Staat bewahren und Offenheit und Transparenz von unseren Machthabern fordern. Es mag Berater geben, die den Regierenden weismachen wollen, dass die Kooperation des Volkes am Besten mit Halbwahrheiten und Angstschüren zu erreichen sei. Das mag im Moment am schnellsten zum Erfolg führen. Auf die Dauer wird solche Intransparenz jedoch erst recht Misstrauen und Verschwörungstheorien fördern. Je einschneidender die Massnahmen, umso umfassender müssen wir von den Regierungen Rechenschaft fordern. In der Bibel steht:

Gott ist Licht, und Finsternis ist keine in ihm. Wenn wir sagen: Wir haben Gemeinschaft mit ihm, und gehen unseren Weg in der Finsternis, dann lügen wir und tun nicht, was der Wahrheit entspricht. Wenn wir aber unseren Weg im Licht gehen, wie er selbst im Licht ist, dann haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde. 1. Johannes 1,5-7

Die Wahrheit schafft Raum für Gemeinschaft und Vergebung, für Solidarität und Toleranz als Ausdruck einer Liebe, die sich nicht zu fürchten braucht.